Sabine Straßburger

1998 Willy Athenstädt

Willy Athenstädt // Sabine Straßburger

 

[…] Sabine Straßburger führt in ihren Gemälden zwei Systeme zusammen. Sie mischt ihre Farbe selbst aus Pigmenten, verschiedenen Bindemitteln und Beimischungen, sodass das Malmaterial kein gefügiger, flüssiger Stoff, sondern ein körperlich zu erfahrendes Element wird. Dieses Material sie schichtet auf ihren Malgründen, lässt dabei die übereinander lagernden Farbhäute zu reliefartigen Oberflächen anwachsen, teilweise muten die Bildoberflächen wie Borke an. Schichten unterschiedlicher Färbung durchdringen einander, brechen auf lassen tiefere Ebenen durchdringen, geben dem Bild Tiefe und bewegte Räumlichkeit

und 4 1994, 84x124cm, 8-tlg Acryl, Öl, Pigmente/Papier

Die Tonwahl ist zurückhaltend – gebrochene Grau-, Weiß- und Ockertöne herrschen vor, erhalten aber in ihrem Durchgearbeitetsein eine aus der Nähe und im intensiven Betrachten erfahrbare lebhafte Farbigkeit. Die Farbfelder werden mit Zeichen besetzt, die eine eigene Bildersprache, eine Art Text ausbilden. Mit Versatzstücken wie Aufstrich, Abstrich, Querstrich, Bogen und Klammer erscheinen graphische Bruchstücke, die in ihrer Isolation wie neu gestaltete Schriftzeichen, wie eine Abfolge von Bedeutungsbruchstücken anmuten. Die skripturalen Versatzstücke werden in einem ästhetischen Versuchslabor eingesetzt, dessen Forschungsziel dort liegt, wo Erkenntnis über die Bedeutungsfähigkeit der Zeichenbruchstücke zu vermuten wäre.

 

d i e s e 1996, 70x360cm, 7-tlg Öl, Pigmente Leinwand

Betrachtet man etwa eine Bildfolge wie Diese (1996), in der sieben Tafeln zu einer Art Fries zusammengefasst sind, so hebt die Reihe mit einem Klammerzeichen an und wird mit einem komplementären Zeichen abgeschlossen. So Werden mathematische Formeln zusammengefasst, bilden einen Term. Die eingefassten Einzelzeichen sind, weil sie keiner bekannten Konvention zugehören, nicht entschlüsselbar. Damit wird der Text höchst individuell, im sprachtheoretischen Sinn unkommunizierbar. Darin liegt ein bemerkenswertes Spannungsfeld der Bilder Straßburgers: Wir sehen Textsimulationen, die als Sprache nicht zu entschlüsseln sind, die aber als Bildzeichen eine eigene Bedeutungsschicht erhalten. Die graphische, die malerische, die kompositorische Dimension der Gemälde schafft eine eigene Sinnhaftigkeit. Lässt sich der Text als Text nicht entschlüsseln, so sind die Bilder als Zeichen sehr wohl zu rezipieren. Damit beschreibt Straßburger in ihren Arbeiten unsere Welt aus Sprache als eine Welt aus ästhetisch- formaler Dimension. Die Formen, die Teilstücke, die Einbettung des skripturalen Elements in einen Umgrund, die physische Präsenz der Farbe schaffen einen eigenständigen Text. Es entsteht eine Bild-Sprache, eine abstraktes System, das auf seine Verflechtung in einen Kommunikationskontext verweist, aber unkommunizierbar bleibt. Damit ist ein konzeptueller Ansatz begreifbar: Diese Zeichenwelt dokumentiert ihre Herkunft aus bestehenden Sprachsystemen und legt zugleich dar, dass selbst noch die gegenständlich scheinendste Bildsprache mit je individuellen Konnotaten versehen ist, die eine eineindeutige Lesbarkeit ausschließt. Texte, Zeichen sind Versatzstücke eines im Letzten unentschlüsselbaren Reichtums individueller Aussagen. Das spannungsvolle Verhältnis von Bildzeichen und Farbflächen, von Unentschlüsselbarem und Offensichtlichem macht die Besonderheit der Gemälde Straßburgers aus. […]


Willy Athenstädt, 1998


Textauszug aus Katalog: Gruppe Grün , Prinzip, Stadt Herne, der Oberbürgermeister, Flottmann-Hallen Herne 1998